Ich bin ein Typ Mensch, den Hypes erst einmal abschrecken – und misstrauisch machen. Wenn ein Buch nur gute Bewertungen hat und in den Himmel gelobt wird, nehme ich davon erst einmal Abstand. Aber manchmal kriegen sie mich dann doch. So auch in diesem Fall.
Nachdem ich nur Gutes über “Mein Sommer auf dem Mond” und auch über die Autorin dahinter, Adriana Popescu, gelesen habe, nahm ich es spontan während eines Trips in den lokalen Buchladen mit. Die Story sprach mich an, bei Goodreads hat es eine Durschschnittsbewertung von 4.25 Sternen, da konnte ja nicht allzu viel schief gehen, richtig? Well… lasst es mich so sagen: die 13€ waren verschwendetes Geld.
Hallo Klischee, Hallo Stereotypen
Damit will ich nicht sagen, dass “Mein Sommer auf dem Mond” ein schlechtes Buch ist, es ist nur absolut nicht das, was ich erwartet habe und was es – meiner Meinung nach – verspricht. Zusammen gefasst ist es eine Geschichte über vier Teenager, die sich während eines achtwöchigen Aufenthalts in einer Klinik für psychisch kranke Jugendliche ihren Problemen stellen. Und mit den Charakteren fängt es schon ein wenig an.
Selbst wenn ich alle vier Astronauten – so der Name ihrer Gruppe – sympathisch fand, verkörpern sie doch sehr weit verbreitete Stereotypen: wir haben da Fritzi, ihres Zeichens Potterhead, nie um einen Spruch verlegen und etwas geeky veranlagt, was sich aber wunderbar mit Bastians Vorliebe für Superhelden-Filme verträgt. Basti ist der Clown der Truppe, der versucht, mit Witzen seine Probleme zu überspielen. Dazu kommen dann Tim, der überaus beliebte Fußballer mit riesigem Freundeskreis und fester Freundin, von denen aber natürlich niemand weiß, wo er sich gerade befindet – zu Hause hat er erzählt, dass er die nächsten Wochen in einem Trainingscamp verbringt. Schließlich kann er ja seinen Leuten nicht sagen, dass er in der Klapse ist und außerdem holen ihn seine Eltern ja sowieso gleich wieder ab. Und zu guter Letzt ist da noch Sarah, das ruhige Mädchen, das sich hinter ihren langen Haaren versteckt und eigentlich nur durch ihre großen Brüste auffällt (seriously? Muss man das wirklich mehrmals erwähnen? Why? Das trägt weder zur Geschichte noch zur Persönlichkeit des Charakters bei!)
Diese vier treffen also auf dem “Sonnenhof” aufeinander und müssen nicht nur lernen, miteinander, sondern auch mit sich selbst auszukommen. Da es sich um eine therapeutische Einrichtung handelt, bin ich davon ausgegangen, dass dies vorrangig durch Gespräche mit Therapeuten geschieht. Okay, vielleicht nicht vorrangig, aber doch zu einem großen Teil. Allerdings kommen im gesamten Buch vielleicht zwei, drei Treffen zwischen einem der Jugendlichen und einem Arzt statt. Den Rest der Zeit verbringen sie mit Teambildungmaßnahmen wie Segelunterricht und Kletterparkabenteuern.
Genauso fehlen jegliche Erwähnungen eines normalen Alltags. Es liest sich so, als hätten die Patienten den lieben, langen Tag zur eigenen Verfügung – abgesehen von genannten Unternehmungen – und dürften machen, was sie wollen. Natürlich erwarte ich nicht, dass jeder einzelne Tag bis ins kleinste Detail beschrieben wird, aber nach Adriana Popescus Erzählung hört es sich eher nach einem Ferienlager und nicht nach einem klinischen Aufenthalt an.
(Ich war selber schon einmal in einer Reha-Klinik, in der unter anderem auch Patienten mit psychischen Problemen behandelt worden sind, und ich kann euch sagen: bis auf eine kleine Pause nach dem Mittagessen und die Abendstunden war ich den ganzen unterwegs.)
Psychische Krankheiten als Plot Device
Was mich auch direkt zu einem weiteren Punkt bringt, der mir extrem übel aufgestoßen ist: die Krankheiten der Astronauten. Da Fritzi und Basti die einzigen Charaktere sind, die zu Wort kommen, liegt der Fokus natürlich entsprechend auf ihren Diagnosen. Fritzi leidet unter Panikattacken, Basti hat eine bipolare Störung und Halluzinationen. Während letztere immer wieder in der Handlung auftauchen, fehlt mir Fritzis Krankheitsbild hingegen komplett. Es wird zwar an verschiedenen Stellen im Buch gesagt, dass sie gerade eine Panikattacke hat, aber für mich kommt da so überhaupt kein Gefühl rüber. Sie bekommt Panik, sie rennt weg, fertig. Es gibt keine wirkliche Beschreibung, wie sich das anfühlt, was sie denkt, wie ihr Körper reagiert. Die Umsetzung in diesen Szenen ist extrem oberflächlich und ich hatte echte Probleme, mit Fritzi zu fühlen.
Das wiederum führte dazu, dass ich das ganze Setting für mich einfach unpassend anfühlte. Klar, es hilft, vier völlig unterschiedliche Charaktere zusammen zu führen, immerhin haben sie keine gemeinsamen Interessen, die zu einem Kennenlernen hätten führen können, aber darüber hinaus hat es keinen weiteren Nutzen. Meiner Meinung nah hätte die eigentlich Handlung auch gut an jedem anderen Ort funktionieren können, z.B. einem von den Eltern verordneten Sommercamp oder was weiß ich.
Wenn ich in einem Wort zusammenfassen müsste, was mir an dem Roman fehlt, wäre es vermutlich Tiefe. Ich konnte mich weder in die Charaktere hinein versetzen, noch richtiges Interesse an ihnen aufbauen. Weil sie – und auch die Geschichte – schlichtweg platt waren. Zudem sind viele Sachen einfach komplett vorhersehbar und klischeebehaftet.
Wenn man das Ganze als das sieht, was es letztendlich ist – eine Liebesgeschichte (ja, natürlich gibt es eine Romanze! Was hast du denn gedacht?) mit nicht ganz durchschnittlichen Charakteren -, dann könnte man “mein Sommer auf dem Mond” vermutlich als solide Sommerlektüre bezeichnen. Ich persönlich habe mir aber einfach wesentlich mehr erhofft und gewünscht.
Ich habe wirklich gehofft, positiv überrascht zu werden…
So, bevor ich endgültig zum Ende komme, möchte ich doch noch eine Sache ansprechen, die mich ziemlich getroffen hat. An dieser Stelle gibt es eine kleine Spoiler-Warnung, weil ich auf etwas eingehe, was erst später im Buch herauskommt.
Und zwar geht es um Tim. Der gehört ebenfalls zu den Astronauten, will aber mit ihnen nichts zu tun haben und ist von Anfang an auf Krawall gebürstet. Irgendwann stellt sich heraus, dass er ein Problem mit Aggressionen hat und – wenn ich mich recht erinnere – jemanden zusammen geschlagen hat, weshalb er letztendlich auf dem Sonnenhof gelandet ist. Der Grund für diese Aggressionen kommt erst eine ganze Weile später heraus…
Ich hatte relativ schnell eine Theorie, hoffte aber innerlich, dass ich mich täuschen würde. Aber nein… es kam genauso, wie ich gedacht habe. Und ist damit nicht nur fucking klischeehaft, sondern auch fucking annoying: Tim ist schwul. Und weil er damit nicht umgehen kann, lässt er eben Fäuste sprechen.
Als ich diese “Offenbarung” gelesen habe, konnte ich wirklich nicht anders als meine Augen zu verdrehen. Sehr weit. Und danach direkt noch einmal. Es hat mich wirklich ein wenig angepisst. Ein bisschen mehr Kreativität wäre hier wirklich zu erwarten gewesen. Ich meine: erfolgreicher Sportler mit wunderschöner Freundin, ein kleiner manly man mit mega coolen Homies und dann ist er homosexuell? WOAH! WTF? Was ‘ne Idee!
Mal von der Tatsache, dass damit Homosexualität und psychische Erkrankungen in Verbindung gebracht werden, ganz abgesehen. Das hätte man doch etwas eleganter lösen können. Tim darf gerne schwul sein, ich bin die letzte, die etwas gegen queere Charaktere hat, aber vielleicht hätte man ihm dann einfach eine andere Geschichte geben können.
— — — Lange Rede, kurzer Sinn — — —
“Mein Sommer auf dem Mond” war gut von Adriana Popescu gemeint, aber leider nicht gut gemacht. Zu relativ flachen Charakteren gesellen sich unrealistische Darstellungen des Klinikalltags und vorhersehbare Storyelemente. Die Charaktere entwickeln sich zwar ein wenig weiter (am Ende müssen sie ja schließlich alle einigermaßen geheilt bzw. so gesund sein, dass sie wieder entlassen werden können), aber auch das ist alles ziemlich klischeehaft und macht sie nicht interessanter.
Die Liebesgeschichte fand ich nicht nur unnötig, sondern auch nicht nachvollziehbar. Nicht nur hier fehlte es an Tiefe und Gefühl. Das Problem zog sich für mich durch das gesamte Buch. Immerhin lässt es sich dank eines angenehmen Schreibstils relativ schnell durchlesen.
Wer auf der Suche nach seichter Unterhaltung mit nicht ganz durchschnittlichen Charakteren ist, hat vielleicht seinen Spaß daran, ich persönlich würde es aber niemanden empfehlen. Sorry.
978-3-570-31198-1 • Broschiert, 400 Seiten • Deutsche Originalausgabe
Ich muss gestehen, dass dieses Buch vollkommen an mir vorbeigegangen ist und nach deiner Rezi bin ich froh drüber. Es klingt ein bisschen, als ob die Autorin sich gedacht hätte, dass Geschichten mit psychisch Kranken gerade in sind und sie deshalb ihre Romanze für Jugendliche damit garnieren müsste. Weil aber intensivere Recherche zu aufwändig gewesen wäre, nimmt sie die ersten vier Probleme mit, die ihr einfallen, und bastelt die in Handlung ein … 🙁
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob sie auch eigene Erfahrungen verarbeitet hat, aber soweit ich gelesen habe, hat sie wohl mit Betroffenen gesprochen und sich ihre Geschichten angehört. Wenn das wirklich so ist, hat sie darauf einfach nichts Gutes gemacht. Ohne diesen Aspekt ist es durchaus ein lesbares Buch, aber da es ja schon ein zentrales Thema ist, war’s ein Flop. Und du hast so gar nichts verpasst 😉
Mit Betroffenen reden ist ja schon ein ganz guter Ansatz, aber ein Autor muss schon sehr gut sein und sehr sensibel mit einem Thema umgehen, damit das reicht.
Das ist mit ein Grund, warum ich es mag, wenn Autoren in einem Vor- oder Nachwort darauf verweisen, woher sie ihre Informationen haben. Mir ist es dann auch egal, ob sich jemand eine einzige Person zum Vorbild genommen hat, die das Manuskript dann auch gelesen und ihre Genehmigung gegeben hat, oder jemand selber betroffen ist oder “nur” intensiveren Kontakt mit mehrere Betroffenen gehabt haben – ich kann dann aber immerhin einschätzen, wieso es zu genau diesen Darstellungen in der Geschichte kommt.
Da gebe ich dir zu 100% recht.
Gerade bei so sensiblen Themen sollte man einfach auch entsprechend damit umgehen.
Ich muss nachher mal gucken, ob sie etwas dazu geschrieben hat. Ich habe die Info nur irgendwo in meinem Kopf abgespeichert, aber keine Ahnung, woher ich sie habe 😉
Schade, wenn ich das so lese ist es nur noch halb so interessant wie ich ursprünglich dachte. Gut. Ein Buch weniger, dass erst mal auf dem SuB gelandet wäre. Vielleicht irgendwann mal aus der Bücherei oder so. ^^
Danke für die ehrliche und schön geschriebene Rezension. <3
Ich fand es auch extrem schade, dass es so enttäuschend war, ich habe mir so viel davon versprochen. Aber das Thema ist eben sehr sensibel und da muss man sich schon richtig mit auseinander setzen. Wenn du kein Geld dafür ausgeben musst, lies es ruhig… mich würde dann interessieren, ob ich einfach zu hart bin 😉